Für einen umfassenden Gewaltschutz im Freistaat

Zu oft bleibt der Freistaat noch hinter seinem eigenen Anspruch, allen seinen Bürgerinnen und Bürgern ein gewaltfreies und sicheres Leben zu ermöglichen, zurück. Statt konkrete Hilfe bereitzustellen, beschränkt sich die politische Debatte auf wohlklingende Sonntagsreden. Insbesondere infolge der sozialen Isolation der Corona-Lockdowns hat sich die Verbreitung und Intensität - gerade im Bereich der häuslichen Gewalt - aber nochmals verschärft.

Es ist Zeit, den Gewaltschutz hier im Freistaat umfassend zu denken und ein breites Maßnahmenpaket, das sich nicht in Partikularproblematiken verliert, anzugehen. Gleichzeitig würdigen wir das bestehende, umfassende zivilgesellschaftliche Engagement in diesem Tätigkeitsbereich und möchten die Zusammenarbeit zwischen Freistaat und Zivilgesellschaft stärken.

Die FDP München setzt dabei auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung und möchte Opfer von häuslicher Gewalt ermutigen und aktivieren, sich gegen die Aggression zu stellen und ihrer Lage zu entkommen. Etwaige Hürden für diesen Schritt möchten wir abbauen.

Konkret fordern wir daher:

I. Zur häuslichen Gewalt

  • Eine konsequente Einhaltung der Istanbuler Konvention. Insbesondere in der Bereitstellung von Frauenhausplätzen hinkt der Freistaat noch weit hinter den Vorgaben der Istanbuler Konvention her – 1 Platz pro 10.000 Einwohner – hinterher. Hier setzen wir Freie Demokraten uns für eine rasche Aufstockung und bessere Finanzausstattung ein und wollen dabei gerade die blinden Flecken in den ländlichen Räumen in den Blick nehmen. Die Bedürfnisse besonders gefährdeter Personengruppen, bspw. Personen mit Behinderung, ohne Deutschkenntnisse oder mit psychischen Erkrankungen, sind beim Ausbau zu berücksichtigen.
     
  • Informationsfluss zu verbessern. Informationen über Hilfsangebote zu häuslicher Gewalt sollen standardmäßig sowohl beim Besuch der Frauen-, Kinder- oder Hausarztpraxis sowie bei psychologischen Beratungsstellen zur Verfügung gestellt werden.
     
  • Kompetenz-Wirrwarr bei grenzüberschreitenden Fällen zu beseitigen. Insbesondere in hocheskalativen Konstellationen mit langfristiger Stalking- oder Nachstellungsgefahr darf ein Opfer bei der Wahl des Frauenhauses nicht an seine Herkunftskommune oder das Herkunftsbundesland gebunden sein. Hier möchten wir Freie Demokraten im Austausch mit unseren Nachbarn und im Austausch mit der kommunalen Ebene Lösungen erarbeiten, sodass die bestmögliche Unterbringung eines Opfers nicht an wirren Zuständigkeiten und Finanzierungsproblemen scheitert.
     
  • Gewaltschutzambulanzen flächendeckend ausbauen. Bisher gibt es in Bayern lediglich eine Gewaltschutzambulanz, die Opfer häuslicher oder sexualisierter Gewalt bei der Dokumentation von Verletzungen und sonstigen Spuren unterstützt, um potentiell nachfolgende Gerichtsverfahren zu erleichtern. Langfristig setzen wir uns für eine solche Einrichtung pro Regierungsbezirk ein. Kurzfristig möchten wir Fortbildungsangebote in dieser Thematik für niedergelassene Ärzte ausbauen, um gerade in der Fläche zumindest einen basales Versorgungs- und Dokumentationsangebot sicherzustellen. Gleiches gilt für Kursangebote, die Allgemein- und Zahnmedizinern sowie anderweitigem medizinischem oder pflegendem Personal vermitteln, wie sie Anzeichen häuslicher Gewalt erkennen können.
     
  • Häusliche Gewalt an Männern stärker in den Blick nehmen. Die Problematik häuslicher Gewalt betrifft zwar größtenteils Frauen, ist aber kein rein geschlechtsspezifisches Problem. Daher möchten wir mehr gesellschaftliches Bewusstsein für die Thematik schaffen sowie den Bedarf an Schutzeinrichtungen für Männer evaluieren.
     
  • Hochrisikomanagement bei Fällen häuslicher Gewalt etablieren. Gewalteskalationen in Paarbeziehungen bis hin zu Tötungsdelikten ereignen sich meist nicht vollkommen unerwartet – mithilfe von Screening-Instrumenten zur Risikoeinschätzung (Risk Assessments) und interdisziplinären Fallkonferenzen verschiedener Akteure – Polizei, Beratungsstellen etc. – kann hier präventiv angesetzt werden. Das Projekt „HighRisk“ des Landes Rheinland-Pfalz kann dazu als Vorbild dienen.
     
  • Die Dunkelziffer in der Erfassung häuslicher Gewalt zu senken. Wir Freie Demokraten möchten einen Runden Tisch von Polizei, Fachberatungsstellen, Frauenhäusern und anderen relevanten Akteur:innen einberufen, um Strategien zur besseren Erfassung und Verfolgung von häuslicher Gewalt zu entwickeln.
     
  • Die Täterarbeit auszuweiten. Die Täterarbeit im Bereich der häuslichen Gewalt ist ein essentieller Präventionsbaustein, der jedoch insbesondere in den ländlichen Räumen nur unzureichend zugänglich ist. Auch das Projekt „Kein Täter werden“, welches Menschen mit pädophiler Neigung therapeutische Hilfe anbietet, möchten wir weiter stärken.
     
  • Ärzt:innen in die Bekämpfung häuslicher Gewalt einbinden. Ärzt:innen sollen, in den Tatbestandsmerkmalen vergleichbar mit der Regelung für Kinder und Jugendliche in Art. 14 Abs. 6 GDVG (bayerisches Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz), dazu verpflichtet werden, bei gewichtigen Anhaltspunkten für Misshandlung oder sexuellen Missbrauch unter vier Augen diese Vermutung anzusprechen und bei Bedarf Informationen über Hilfsangebote zu machen.
     

II. Zum Schutz von Kindern

  • Die konsequente Entwicklung und Anwendung von Kinderschutzkonzepten in sämtlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit zu fördern. Insbesondere im Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen – etwa im (Leistungs-)Sport oder im kirchlichen Bereich – bedarf es einer vermehrten Auseinandersetzung mit wirksamen Schutzkonzepten.
     
  • Evidenzbasierte Maßnahmen durch mehr Forschung zu ermöglichen. Der Forschungsstand zu Pädophilie und Kindesmissbrauch ist ausbaufähig: Die Rolle von Frauen als Täterinnen; Faktoren, die die Tatwahrscheinlichkeit beeinflussen können (z.B. der Konsum von Missbrauchsdarstellungen) sowie das Feld der sog. Ersatzhandlungstäter sind bis heute mit Wissenslücken behaftet. Hier möchten wir nach dem Vorbild der MiKADO-Studie eine neue Untersuchung finanzieren, die die bestehenden Forschungslücken schließt.
     
  • Ärzt:innen bei der Identifikation von Kindeswohlgefährdungen den Rücken zu stärken. Wenn Ärzt:innen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt werden, so möchten wir ihnen zur besseren Beurteilung einen fallbezogenen interkollegialen Austausch ermöglichen. Dazu wollen wir das Heilberufe-Kammergesetz ändern.
     
  • Ärzt:innen in die Bekämpfung häuslicher Gewalt einbinden. Ärzt:innen sollen, in den Tatbestandsmerkmalen vergleichbar mit der Regelung für Kinder und Jugendliche in Art. 14 Abs. 6 GDVG (bayerisches Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz), dazu verpflichtet werden, bei gewichtigen Anhaltspunkten für Misshandlung oder sexuellen Missbrauch unter vier Augen diese Vermutung anzusprechen und bei Bedarf Informationen über Hilfsangebote zu machen.
     

III. Sonstiger Gewaltschutz:

  • FGM/C (Female Genital Mutilation/Cutting) den Kampf anzusagen. Hierzu möchten wir die Beratungsinfrastruktur ausbauen, sog. Change-Agents einsetzen, die in den betroffenen Communities niedrigschwellige Aufklärung betreiben und die Thematik in den Weiterbildungskatalog für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie den Prüfungskatalog der Hebammen aufnehmen.
     
  • Obdachlosigkeit wirksam zu bekämpfen. Wir setzen dabei insbesondere auf sog. Housing-First-Konzepte, die zunächst auf die bedingungslose Sicherung der Wohnsituation eingehen und anschließend weitere Maßnahmen in enger sozialarbeitlicher Betreuung einleiten – die Jobsuche etwa, oder – sofern notwendig – durch Entzugsprogramme. Außerdem fordern wir, dass bei der Planung und beim Bau öffentlicher Objekte und Anlagen, wie zum Beispiel Sitzgelegenheiten oder Freiflächen nicht auf Defensive Architektur zurückgegriffen wird.

 

Der Antrag wurde vom Vorstand der FDP München am 5. Januar 2023 beschlossen.